„Angehörige von Demenzerkrankten sollten sich so früh wie möglich Unterstützung suchen“

„Angehörige von Demenzerkrankten sollten sich so früh wie möglich Unterstützung suchen“

Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft ist eine der wichtigsten Anlaufstellen für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Wir sprachen mit dem Vorsitzenden Swen Staack unter anderem darüber, wie bedeutend der Welt-Alzheimertag und ein offener Umgang mit der Erkrankung sind und warum sich Angehörige von Menschen mit Demenz frühzeitig Hilfe suchen sollten.

Swen Staack
@DAlzG

Herr Staack, warum ist es heute immer noch – oder vielleicht auch gerade wieder – wichtig, einen Welt-Alzheimertag zu haben?

Es stimmt, dass das Thema Demenz oder die Alzheimer-Krankheit heute viel mehr Menschen ein Begriff ist, als das vor 30 Jahren der Fall war, als dieser Tag von der Weltgesundheitsorganisation WHO und Alzheimer’s Disease International ins Leben gerufen wurde. Aber nach wie vor erleben viele Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen, dass sie ausgegrenzt werden oder dass die Leute völlig falsche Vorstellungen von der Krankheit haben. Deshalb ist auch heute noch viel an Aufklärungsarbeit notwendig.

Außerdem erleben wir in den letzten Jahren wieder verstärkt, dass die betroffenen Familien immer größere Probleme haben, Unterstützung zu finden. Wichtige Angebote wie Tagespflege- oder Kurzzeitpflegeplätze sind mancherorts kaum noch verfügbar und auch Pflegeheime sehen sich aufgrund des Pflegenotstands oft nicht in der Lage, gerade Demenzerkrankte mit großem Betreuungsbedarf zu versorgen. Doch Menschen mit Demenz dürfen nicht vergessen werden, nur weil sie sich selbst nicht zu Wort melden können. Deshalb ist der Welt-Alzheimertag nach wie vor so wichtig.

Zur Person

Swen Staack wurde 1961 geboren und lebt in Hamburg. Er engagiert sich seit mehr als 25 Jahren für die Belange von Menschen mit Demenz und deren Angehörigen. Neben der Gründung der Alzheimer Gesellschaft Norderstedt-Segeberg e.V. und der Alzheimer Gesellschaft Schleswig-Holstein e.V., deren Geschäftsführer er bis heute ist, hat er viele Projekte im Themenfeld Demenz initiiert und aktiv begleitet, z. B. den Demenzplan Schleswig-Holstein. Durch die Demenzerkrankung seines mittlerweile verstorbenen Vaters hat er auch die Perspektive als pflegender Angehöriger erfahren. Seit 2009 ist er Vorstandsmitglied der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. Selbsthilfe Demenz, seit November 2025 als 1. Vorsitzender. Für sein Engagement wurde er im Oktober 2011 mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet.


Sie waren selbst Sohn eines an Alzheimer erkrankten Vaters. Wie wichtig ist ein offener Umgang mit dem Thema Demenz für Sie persönlich?

Als mein Vater an einer vaskulären Demenz erkrankte, war ich durch meine vielfältigen Erfahrungen eigentlich der Meinung, auf alles gut vorbereitet zu sein. Schnell wurde mir klar, dass die bisherige professionelle Sicht auf die Demenz nicht mehr funktioniert, wenn der eigene Vater erkrankt. Freunde haben sich zurückgezogen, meiner Mutter fiel der Umgang immer schwerer. Mein Vater selbst hat die Demenz fast bis zum Ende nicht wahrhaben wollen. Folglich war ein offener Umgang mit ihm schwierig. Ich habe dabei gemerkt, wie schnell Stigmatisierung funktioniert. Umso mehr ist es mir nun wichtig, hier entgegenzuwirken.

Die Woche der Demenz im Allgemeinen und der Welt-Alzheimertag am 21. September im Speziellen rücken Menschen mit dieser Art von neurologischen Erkrankungen in den Mittelpunkt. Gibt es etwas, was Sie Angehörigen ans Herz legen möchten?

Angehörige sollten sich so früh wie möglich Unterstützung suchen. Am Anfang meint man oft, alles allein bewältigen zu können. Aber die Betreuung eines Menschen mit einer Demenz ist ein Marathon. Die Krankheit zieht sich meist über viele Jahre hin und es ist wichtig, von Anfang an auch die eigenen Bedürfnisse und Kräfte im Blick zu behalten. Zum Beispiel kann man nach der Diagnose die ganze Familie und auch gute Freunde an einen Tisch rufen und besprechen, wer welche Aufgaben übernimmt, welche professionellen Entlastungsangebote es gibt und wann die Hauptpflegeperson Auszeiten hat. Natürlich ist es gut, auch den Betroffenen oder die Betroffene mit an diesen Tisch zu holen, wenn das irgendwie möglich ist. Am Anfang steht für alle die Welt meist ziemlich auf dem Kopf. Hier hilft der Austausch mit anderen, zum Beispiel in einer der Gruppen für Angehörige oder für Menschen mit beginnender Demenz bei den örtlichen Alzheimer Gesellschaften.

Hinweis

Adressen und eine erste Beratung gibt es am kostenfreien Alzheimer-Telefon der Deutschen Alzheimer Gesellschaft unter 030/259 37 95 14.

 

Was braucht es Ihrer Ansicht nach, damit auch und gerade jüngere Kinder von an Demenz erkrankten Elternteilen besser in unserer Gesellschaft aufgehoben sind?

Dass in Deutschland fast eine halbe Million Kinder und Jugendliche leben, die zu Hause Pflegeaufgaben übernehmen, rückt nur sehr langsam ins Bewusstsein. Hier braucht es Wissen bei Lehrkräften, aber auch bei Trainerinnen und Trainern im Sportverein und anderen, damit diese aufmerksam werden und den Kindern Unterstützung anbieten. Die meisten Menschen wissen gar nicht, dass eine Demenzerkrankung auch schon in jüngerem Alter auftreten kann. Kinder können also nicht nur mit einem betroffenen Großelternteil, sondern auch mit einem erkrankten Elternteil konfrontiert sein. Wichtig ist, dass sie darüber sprechen können und damit auch auf Verständnis stoßen. Wir haben deshalb kostenfreie Unterrichtsmaterialien zum Thema Demenz für verschiedene Altersstufen entwickelt.

Es braucht aber auch konkrete Angebote wie Familienhelfer und bei Bedarf therapeutische Unterstützung, damit die Kinder diese einschneidenden Erfahrungen besser bewältigen können.

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Was sind die größten Themen von minderjährigen Kindern, bei denen ein Elternteil von einer Demenz betroffen ist? Kann sich nicht auch ein Gefühl einstellen, den Vater oder die Mutter an die Krankheit zu verlieren?

Wie Kinder die Demenz eines Elternteils erleben, hängt stark vom Alter ab. Kleinere Kinder nehmen meist auch ungewöhnliches Verhalten als selbstverständlich hin, können es aber nicht verstehen, wenn der Vater oder die Mutter vielleicht grundlos mit ihnen schimpft. Ältere Kinder erleben den Verlust des Vorbilds, des starken Elternteils in der Regel sehr schmerzvoll. Sie reagieren darauf mit Trauer oder auch mit Abwehr dem Elternteil gegenüber. Kinder fühlen sich oft aber auch für den gesunden Elternteil verantwortlich und wollen helfen. Jugendliche, die eigentlich in einer Phase sind, wo es darum geht, sich abzunabeln und eigene Wege zu gehen, geraten in einen Zwiespalt. Sie haben das Gefühl, ihre Eltern nicht alleinlassen zu dürfen.

Was bedeutet Ihnen Ihre Aufgabe als Vorsitzender der Deutschen Alzheimer Gesellschaft?

Die Interessen von Menschen mit Demenz und ihren Zu- und Angehörigen zu vertreten, damit sie weiterhin in unserer Mitte leben können, bedeutet mir sehr viel. Deshalb setze ich mich mit voller Kraft dafür ein, dass sie bessere Akzeptanz in unserer Gesellschaft erfahren und die Unterstützung erhalten, die sie brauchen. Nicht zuletzt, die politische Ebene zu sensibilisieren, zu unterstützen, aber auch kritisch zu begleiten, wie z. B. die Nationale Demenzstrategie.

Und wie sehen Sie die heutige Versorgungsstruktur und Angebote für Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen?

In der Versorgungsstruktur hakt es nach wie vor. Neben dem Mangel an Pflege- und Betreuungsangeboten ist die Versorgung von Menschen mit Demenz bei einem Krankenhausaufenthalt ein großes Thema. Hier gibt es noch viel zu wenig Kliniken, die Demenzbeauftragte und entsprechende Konzepte haben. Man muss aber auch sagen, dass die Versorgungsstrukturen regional ganz unterschiedlich ausgebaut sind.

Es gibt sogar Gemeinden, die sich für das Thema starkmachen, runde Tische bilden und mit vereinten Kräften vernetzte Angebote schaffen. Im Rahmen der Nationalen Demenzstrategie arbeiten wir daran, dass sich Versorgungsstrukturen flächendeckend verbessern. Ganz wichtig ist es aber aus meiner Sicht, dass Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen überall wohnortnah ein Beratungsangebot finden. Denn oft nehmen die Familien Angebote auch nicht in Anspruch, weil sie gar nicht darüber informiert sind oder ihre Ansprüche gegenüber der Pflegeversicherung nicht kennen.

Hintergrund

Der Welt-Alzheimertag (21. September) wurde 1994 von Alzheimer’s Disease International (ADI) mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ins Leben gerufen. Seit 2015 ist dieser Tag deutschlandweit eingebettet in eine „Woche der Demenz“.

Weitere Informationen zu Demenzerkrankungen und Alzheimer-Krankheit sowie einen Überblick zu Verlauf und typischen Stadien einer Demenz finden sie ebenso hier im Portal wie eine Liste der 7 typischen Symptome und 10 Tipps für den Alltag mit Demenz inklusive einer Checkliste für ein sicheres Wohnumfeld.

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